Atari XL
Der Amiga-Verwandte: Atari 1850XLD

Entwicklungsgeschichte

Dieser Rechner gehört nur noch auf Grund seiner handschriftlich überlieferten geplanten Handelsbezeichnung in die XL-Serie, hat aber mit den übrigen Modellen dieser Serie sowie mit den Modellen der Serien 400/800 und XE technisch nichts gemeinsam. Allerdings haben einige, die Ende der 1970er Jahre bei Atari an den Modellen 400 und 800 mitgewirkt haben, bei Amiga später den Lorraine-Chipsatz mitentwickelt, auf dem der 1850XLD aufbauen sollte – allen voran der spätere Amiga-Gründer Jay Miner. Hardwaretechnisch existiert vom 1850XLD gar nichts, er ging nicht mehr vom Planungs- ins Entwicklungsstadium über, da die dafür verantwortliche Abteilung im Zuge des Kaufs der Atari Consumer Division durch Tramel Technologies und der Verschmelzung mit dieser zur Atari Corporation aufgelöst wurde. Außer ein paar handschriftlichen Notizen ist daher nichts vorhanden.

Was bekannt ist:

Zum geschichtlichen Hintergrund:

1983 arbeitete ein Team von ehemaligen Atari-Angestellten um Jay Miner beim Joystickhersteller Amiga am Projekt Lorraine, dessen im Großen und Ganzen funktionierender Prototyp bereits im Januar 1984 auf der Winter CES in Chicago präsentiert werden konnte – der Ursprung der berühmten Bouncing-Ball-Animation. Allerdings stürzte das System bei der Präsentation häufig ab und musste während der laufenden Messe noch einmal von Robert Mical und Dave Luck nachgebessert werden. Lorraine war als Spielemaschine auf Basis des Motorola 68000-Prozessors ausgelegt und den Atari-Projekten Sierra und Gaza technisch recht ähnlich. Da Amiga mit der Entwicklung allerdings finanziell ins Straucheln geriet – Miner verpfändete sein Haus und Luck verkaufte eins seiner teuren Autos –, arrangiert Miner im Juli 1983 Verhandlungen mit seinem ehemaligen Auftraggeber Atari über eine Lizenzierung. Am 21. November 1983 wird eine Vorvereinbarung unterschrieben, weitere Verhandlungen finden im Februar 1984 statt, und Atari – obwohl nach wie vor selbst in einer finanziell stark angespannten Situation, die Firma verlor mehrere Millionen Dollar am Tag – erklärt sich bereit, das Projekt Lorraine ab März 1984 mit 500.000 Dollar zu finanzieren. Im Gegenzug sollte Atari Zugang zu den Entwicklungsunterlagen bekommen und beide Firmen sollten bis Ende Juni 1984 eine Lizenzvereinbarung unterzeichnen. Sollte bis dato keine Vereinbarung unterzeichnet sein, sollte Amiga das komplette Geld wieder zurückzahlen und Atari würde in dem Fall kostenfrei an das Chipset von Lorraine kommen – was den Entwicklern bei Amiga allerdings so gar nicht passte. Für den Fall der Fälle wurden daher falsche Zeichnungen angefertigt. Chips, die nach diesen Unterlagen produziert worden wären, hätten schlicht nicht funktioniert. Der bis dahin getroffenen mündlichen Vereinbarung zufolge hätte Atari erst ab 1985 eigene Computer mit Lorraine-Chipset auf den Markt bringen dürfen, was die Entwickler bei Atari allerdings nicht davon abhielt, bereits ab Frühjahr 1984 einen Computer auf dieser Basis zu entwickeln. Dieser erhielt den Codenamen Mickey und sollte bei Veröffentlichung die Modellnummer 1850XLD zugewiesen bekommen, eine 256 kB-Speichererweiterungskarte mit dem Codenamen Minnie war ebenfalls in Planung. Mit den Monaten wurde Atari aber immer restriktiver, was die Lizenzierung von Lorraine anbelangt, so legte Atari im Juni 1984 Amiga eine Liste mit diversen Firmen vor, an die Lorraine nicht herausgegeben werden dürfe, darunter befanden sich Branchengrößen wie Philips, Commodore, IBM, Apple und General Electric. Andere Firmen wie Sony, Hewlett Packard und Silicon Graphics zeigten nach Anfrage durch Amiga kein Interesse an einer Lorraine-Lizenz. Commodore-Berater Steve Greenberg bietet Amiga-Chef David Morse im selben Monat Verhandlungen an, und in Aussicht auf weniger restriktive Bedingungen willigt Morse ein. Commodore erklärt sich bereit, den Vorschuss samt eventueller Zinsen an Atari zurückzuzahlen. Daraufhin sagt Morse ein für den 28. Juni geplantes Treffen mit Atari ab und trifft sich stattdessen erneut mit Commodore. Tags darauf übergeben Bill Hart und Morse Atari-Chef John Ferrand einen Scheck über 750.000 Dollar mit der Begründung, Amiga würde Lorraine nicht rechtzeitig liefern können. Jack Tramiel, Ex-Boss von Commodore und derzeit Chef von Tramel Technologies, der zu dieser Zeit mit Warner über den Kauf der Atari Consumer Division verhandelte, bekam einen Anruf vom Atari-Buchhalter, der fragte, was er mit dem Scheck denn machen solle, worauf Tramiel entgegnete, wenn ihm jemand einen solchen Scheck unter die Nase halten würde, dann solle er ihn auch annehmen. Tramiel ahnte zu der Zeit nichts von der zwischen Atari und Amiga getroffenen Lizenzvereinbarung. Ferrand möchte Amiga gerne noch etwas Zeit lassen, doch die Firma lehnt ab und bricht die Verhandlungen endgültig ab. Einen Tag später wird der Vertrag mit Commodore unterzeichnet, aus dem Projekt Lorraine entsteht in den folgenden Jahren die Computerbaureihe Commodore Amiga, deren Nachfolger in Kleinserie bis heute produziert werden. Amiga wird am 13. August 1984 vollwertige Tochter von Commodore. Tramiel versucht später, Amiga und Commodore wegen Betrugs zu verklagen, scheitert damit aber vor Gericht.

Commodore Amiga 500, 1987, Bild: CC-BY-2.5, Bill Bertram
Ein aus dem Projekt Lorraine entstander Rechner: Der Commodore Amiga 500 von 1987
Bild: Bill Bertram (CC-BY 2.5)

Letzte Seitenbearbeitung: 21. Oktober 2023