8-Bit im ST-Design: Die Atari XE-Serie

Atari XE

Einführung

Nach der Fusion der Atari Consumer Division mit der Tramel Technologies Limited zur Atari Corporation im Juli 1984 wurde die gesamte Produktpalette auf den Prüfstand gestellt – von den 8-Bit-Modellen waren zu dieser Zeit noch der 800XL und die PAL-Version des 600XL in der Produktion. Bei der Neuaufstellung wurde dabei nicht nur der bereits mitten in der Entwicklung befindliche neue 16-Bit-Computer berücksichtigt, sondern auch Pläne geschmiedet, die 8-Bit-Schiene zu überarbeiten. Ein erster Entwurf, datiert auf den 13. August 1984, sieht eine Fortführung der XL-Serie mit der Einführung von fünf neuen Modellen vor:

Atari XL identisch zum 800XL, als solcher nach wie vor in Produktion
Atari XL/WRITER XL mit WYSIWYG-Texteditor im ROM, LQ-Drucker im Lieferumfang
Atari XL/CMOS tragbare Version des XL/WRITER mit 40/80-Zeichen-LCD
Atari XL/M XL mit AMY-Soundprozessor
Atari XL/P XL mit 128 kB Arbeitsspeicher

Allen gemeinsam war die Implementierung der Unterstützung der neuen 3½″-Diskettenlaufwerke sowie ein neues DOS. Bereits einen Monat später lauteten die Pläne deutlich anders, diesmal waren vier neue Modelle geplant, die alle aufeinander aufbauen sollten:

Atari 800XL das seit 1983 vertriebene Standardmodell
Atari 800XLF 800XL mit FREDDIE-Multiplexer-Chip
Atari 900XLF 800XLF im neu gestalteten Gehäuse
Atari 900XLKF 900XLF mit KERI-Chip

Von dieser Planung wurde der 800XLF tatsächlich ab Herbst 1984 unter der Handelsbezeichnung 800XL produziert, wohl auch um die aufgebauten Lagerbestände des eigentlich für 1400XL und 1450XLD geplanten FREDDIE-Multiplexerchips loszuwerden, ohne sie teuer entsorgen zu müssen. KERI wurde ebenfalls bereits von Warner-Atari entwickelt und sollte dort schon in einem kostenreduzierten Modell des 800XL (intern als 800XLCR bezeichnet) zum Einsatz kommen, das allerdings nicht mehr entwickelt wurde. Kostendruck und eine durch die hohen Entwicklungskosten für gleich drei Computerlinien verursachte finanzielle Schieflage zwangen Atari dann, die Pläne noch einmal zu straffen. Spätestens im November 1984 wurde dann folgendes Lineup festgelegt:

Atari 900XLF 800XLF im neu gestalteten Gehäuse
Atari 900XLA 900XLF mit Soundprozessor AMY, vgl. XL/M weiter oben
tragbare Version tragbare Version des 900XLF mit Bildröhre und Diskettenlaufwerk
128k-Version 900XLF mit 128 kB Arbeitsspeicher, vgl. XL/P weiter oben

Am 6. Dezember 1984 wurden zwei der finalen Bezeichnungen auf der deutschen Ausgabe der Pressekonferenz The New Atari Corp. in Frankfurt/Main bekannt gegeben, die anderen beiden folgten dann auf der Winter CES am 5. Januar 1985 in Las Vegas. Die endgültige Modellplanung lautete nun:

Atari 65XE vormals 900XLF, Nachfolger zu 800XL/800XLF
Atari 65XEM vormals 900XLA
Atari 65XEP tragbare Version
Atari 130XE mit 128 kB Arbeitsspeicher

Diese vier Modelle wurden dann auf der Winter CES im Januar 1985 vorgestellt (65XE/130XE) bzw. angekündigt (65XEM/65XEP). Pläne, den KERI-Chip zu produzieren und in die neuen Modelle zu integrieren, gab es nun nicht mehr, stattdessen wurde auf bereits vorhandenes Material zurückgegriffen.

Im Frühjahr 1985 gelangten dann die ersten Geräte der Modelle 65XE und 130XE in den Handel, durch einen gewaltigen Produktionsvorlauf waren die US-Lager aber noch derart voll mit 800XL-Geräten, dass es dort noch ein ganzes Jahr dauerte, bis der 65XE auch dort auf den Markt kam. Die Modelle 65XEM und 65XEP wurden schon im Frühjahr 1985 wieder gestrichen – dem 65XEM kamen immer wieder auftretende Probleme mit dem Soundprozessor AMY in die Quere, und der 65XEP scheiterte schlicht an mangelndem Kundeninteresse. Zeitweilig gab es Gerüchte über einen mit 256 kB Arbeitsspeicher ausgestatteten 260XE, die sich jedoch als falsch erwiesen.

Zahlreiche Peripheriegeräte waren für die XE-Serie geplant, darunter (erstmals) Bildschirme, diverse Laufwerke, einige Drucker und andere Erweiterungen, nicht alles kam jedoch auf den Markt – vor allem die Drucker mussten Federn lassen, die Bildschirme erschienen gar nicht erst. 1987 witterte Atari nach relativ guten Umsätzen mit den Neuauflagen der Spielkonsolen 2600 und 7800 wohl Morgenluft im Videospielgeschäft und wollte ein Konkurrenzsystem zum äußerst erfolgreichen Nintendo Entertainment System auf den Markt bringen. Dazu trennte man den 65XE in die Konsole XE SYSTEM und die Tastatur auf. Das XE SYSTEM, auch XE GAME SYSTEM (kurz XEGS) genannt, funktioniert alleine für sich als reine Spielkonsole, mit Missile Command ist auch ein Spiel bereits fest vorinstalliert. Wird die Tastatur angeschlossen, funktioniert das System wie ein gewöhnlicher 65XE-Computer und der BASIC-Interpreter wird geladen. Zusammen mit dem XE SYSTEM kam die XG-1 Light Gun heraus, die für einige Shooter-Spiele genutzt wird, und eine Neuauflage des 1977 erschienenen Standard Joysticks im grauen Gehäuse.

Zwischenzeitlich erfreute sich der XE vor allem in den Ostblockstaaten nach den gelockerten Ausfuhrbestimmungen der westlichen Länder äußerst großer Beliebtheit, während im Westen eher die 16-Bit-Modelle der ST-Serie gefragt waren. In der DDR waren XL und XE 1985 die ersten offiziell aus dem Westen importierten Heimcomputer, bis zum Fall der Mauer wurden über die Intershops etwa 100.000 Geräte abgesetzt. In Polen wurde der XE noch vor dem Sinclair ZX Spectrum Marktführer, allein 1989 wurden dort 70.000 XE-Computer verkauft. Die Nachfrage nach Atari-Computern war derart hoch, dass ab Sommer 1988 sogar der eigentlich längst eingestellte 800XL wieder produziert und vertrieben wurde, damit die Nachfrage gedeckt werden konnte – hier wurde deshalb auf ein stillgelegtes Modell zurückgegriffen, da alle Produktionskapazitäten der XE-Reihe vollständig ausgeschöpft waren. Der 65XE wurde in Mitteleuropa als 800XE vermarktet, angeblich um markenrechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Verwendet wurde hier aus Kostengründen statt der eigentlichen 65XE-Platine die des 130XE, die dann nur mit 64 kB Arbeitsspeicher bestückt wurde (eine Änderung, die auch bei den anderen 65XE-Modellen zu dieser Zeit durchgeführt wurde), zudem bekam er die neue Revision 3 des XL-OS. Selbst im Nahen Osten war der XE vertreten – der hauptsächlich in Ägypten und Saudi-Arabien vertriebene und intern 65XEN genannte Computer erhielt mit der XL-OS Revision 3B ein extra angepasstes Betriebssystem und eine mit arabischen Schriftzeichen versehene Tastatur.

Ab 1989 wurde dann die Entwicklung neuer XE-Produkte eingestellt, denn der gigantisch wachsende Computermarkt war gerade dabei, sich selbst zu überholen und sich neu aufzustellen. Gefragt waren zunehmend 32-Bit-Modelle, die ersten 486er kamen bereits auf den Markt, und auch Commodore, Atari, NeXT und Apple bastelten an neuen leistungsfähigen Modellen – die Mitte bis Ende der 1970er Jahre entwickelte Technik war zu Beginn der 90er Jahre einfach nicht mehr zeitgemäß. Im Sommer 1989 verschwand als erstes das erfolglos gebliebene XE SYSTEM wieder vom Markt, in Europa wurde es durch die bis dahin dort nicht erhältliche Konsole 7800 ersetzt. Bereits ein paar Monate vorher erschienen aus dem Hause Atari die letzten Spielmodule und die letzte Software für die 8-Bit-Linien. Die Computer wurden noch eine Zeitlang weitergeführt, um die Nachfrage im Osten zu befriedigen, allerdings wurden alle Peripheriegeräte mit Ausnahme des Kassettenlaufwerks XC12 und der Light Gun bereits eingestellt. Ende 1992 kam dann zusammen mit den Serien 2600 und 7800 das endgültige Aus für die XE-Serie und der Ausverkauf begann. Was zum Jahreswechsel 1993/94 in den amerikanischen Lagern noch übrig war, wurde abgeschrieben und entsorgt. Anders in Europa: Im niederländischen Vianen konnte man beim Räumungsverkauf 1995 noch nagelneue XE-Geräte zum Spottpreis erstehen.

Atari XE

Letzte Bearbeitung: 17. September 2022