Kraftpaket mit Multiprozessor-Technik:
Die Atari Transputer Workstation 800
Atari Transputer Workstation 800


Inhaltsverzeichnis
Das System

Die Geschichte beginnt am Donnerstag, den 13. August 1987 – an diesem Tag schließen die britischen Schwesterfirmen Perihelion Hardware aus Cambridge und Perihelion Software aus Shepton Mallet mit der Atari Corporation einen Vertrag über die Entwicklung eines Transputer-Systems auf Basis des Inmos T-800 mit einem Subsystem basierend auf dem Motorola 68000 ab. Transputer können fast beliebig über ein Netzwerk zusammengeschaltet werden und arbeiten im Gegensatz zu zusammengeschalteten Computern als ein einziges Mehrbenutzer-System – je mehr Transputer-Systeme im Netzwerk angedockt sind, umso leistungsfähiger ist das System an sich. Der anfangs noch ABAQ getaufte Rechner stellt eine Workstation nach klassischer Definition dar (Workstation: Rechengeschwindigkeit mindestens 1 MIPS, mindestens 1 MB Arbeitsspeicher, mindestens 1 Megapixel Bildschirmauflösung, Netzwerkanschluss mit mindestens 1MB/s, Multitasking-Betriebssystem), Preise für andere Workstations, beispielsweise die Apollo DN4000 auf Basis des Motorola 68020, bewegten sich zu dieser Zeit oberhalb von 40.000 DM. Von Atari wurde ein Transputer auf Basis des T-800 erstmals am 12. September 1987 auf der Messe Salone Macchine e Attrezzature l'Ufficio in Mailand angekündigt, erstmals vorgestellt wurde der Parallelrechner auf der Fall COMDEX '87 in Las Vegas als ABAQ, danach noch auf der CeBIT '88 in Hannover. Bei der erneuten Präsentation auf der Fall COMDEX '88 wurde das System dann als Atari Transputer Workstation ATW800 vorgestellt.

Der Inmos T-800 Prozessor besitzt einen 4 kB großen Cache und einen arithmetischen Coprozessor, er arbeitet mit 1,5 MFLOPs (1,5 Millionen Fließkommandooperationen pro Sekunde bei einer Taktfrequenz von 20 MHz). Eine 2,25 MFLOPs-Version mit 30 MHz war für den ABAQ auch in Vorbereitung. Der T-800 ist damit um einiges schneller als die Kombination aus Motorola 68030 und 68881. Die Workstation besitzt vier serielle Schnittstellen, die mit jeweils 20 MBaud senden können (20 Millionen Zeichen pro Sekunde – ein herkömmliches Modem dieser Zeit schafft gerade einmal 2400 Zeichen pro Sekunde), und über die die ATW-Transputer zusammengeschlossen werden. Ein abgespeckter Mega ST ist als I/O-Subsystem integriert, dieser ist mit nur 512 kB Arbeitsspeicher ausgestattet und die zum Betrieb in der ATW ohnehin nicht notwendige ST-Grafikhardware wurde ganz weggelassen, die schwachbrüstige Audio-Hardware des ST allerdings wird von der ATW verwendet. Über eine Risercard werden auf der Hauptplatine der ATW drei Farmcard-Slots angeschlossen, die wiederum jeweils eine Transputer-Steckkarte mit jeweils maximal vier T800-Prozessoren und pro Prozessor 1 MB Arbeitsspeicher (sogenannte Farmcards) aufnehmen können. Eine einzelne ATW kommt damit schon auf eine für die 1980er Jahre für ein derartiges System beachtliche Rechenleistung von 20 MFLOPs – ein Intel 80486 schafft bei 25 MHz Taktfrequenz 1 MFLOP. Die Cray X-MP von 1984 schafft zwar satte 942 MFLOPs, kostete dafür aber auch 15 Millionen Dollar.

Zusätzliche Steckkarten waren durchaus geplant, so sollte es Speichererweiterungen mit bis zu 12 MB geben, ebenso Ethernet- und X25-Netzwerkkarten, asynchrone Kommunikationskarten mit bis zu 16 asynchronen seriellen Schnittstellen, Analog-Digital-Wandlerkarten für wissenschaftliche Anwendungen und Transputer-Erweiterungskarten im TRAM-Format mit einem einzelnen T800 samt 1 MB Arbeitsspeicher, die dann nicht mehr über die Risercard angeschlossen werden müssen. Ebenso waren Massenspeicher-Subsysteme sowie eine externe Erweiterungsbox namens Polyhedron für bis zu zwölf Farmcards in der Entwicklung (entspricht maximal 48 zusätzlichen T800-Prozessoren und 48 MB zusätzlichen Arbeitsspeicher) – mit dieser Box hätte die ATW bei vollem Ausbau dann beinahe die Rechenleistung des CRAY 1 Supercomputers von 1976 erreicht. All diese Erweiterungen wurden unabhängig von Atari im Hause Perihelion entwickelt.

Die ATW besitzt pro Prozessor 1 MB Dual-Port-Arbeitsspeicher, auf den die Blossom-Videohardware und das System gleichermaßen zugreifen können. Als Blitter wird ein Gate-Array-Chip namens Charity eingesetzt, der von Richard Miller nach Vorarbeit an der University of Bath entwickelt wurde. Zu den vier vorhandenen festen Grafikmodi könnne beliebig weitere programmiert werden, Farbpalette sowie vertikale und horizontale Synchronisation sind weitgehend frei veränderbar. Mehrere Bitplanes mit unterschiedlicher Auflösung sind ebenso möglich wie einige Formen von Antialising, Zooming und Hardware-Panning. Bei mehreren gekoppelten ATW sind auch in den hohen Auflösungen bis zu 24 Bit Farbtiefe möglich.

Als Betriebssystem kommt HeliOS zum Einsatz, welches von Perihelion entwickelt wurde (diese Firma entwickelte auch das Amiga DOS) und auf UNIX aufbaut. Die Grafikausgabe erfolgt über die Oberfläche X-Windows.

Die Prototypen der ATW wurden noch in England bei Perihelion gefertigt, die Fertigung der Serienmodelle sollte dann im Atari Computer GmbH Technologiezentrum in der Julius-Konegen-Straße 24 in Braunschweig erfolgen und lief stellenweise auch bereits an. Der Preis für ein Prototypen-Entwicklergerät betrug damals etwa £3000 (entspricht 2020 etwa £8100 bzw. € 9300), Betriebssystem und C-Compiler kosteten £500 extra. Bis Ende Mai 1988 wurden laut Atari bereits 50 ABAQ-Maschinen an Entwickler ausgeliefert. Die Technologie der Transputer ist bis heute im Einsatz, insbesondere in Settop-Boxen, die Rechte am Transputer-System liegen heute bei ST Microelectronics (früher SGS Thomson). Der Deal zwischen Perihelion und Atari ist wohl an internen Problemen gescheitert – Atari sollte die Hardware, Perihelion die Software vertreiben. Zusätzlich sollte sich Perihelion um die Registrierung und den Service der Geräte kümmern, jedoch wurden angeblich die dafür nötigen Unterlagen der Kunden nie von Atari an Perihelion weitergereicht. So bleibt es bei etwa 250 bis 350 gebauten Exemplaren der ATW800, die zwischen 1988 und 1990 ausgeliefert wurden. Zum Einsatz kamen diese unter anderem an der Technischen Universität Braunschweig sowie bei Volkswagen in Wolfsburg, wo mit Hilfe des Systems Fahrwerksimulationen, unter anderem für den zu dieser Zeit entwickelten VW Golf III, durchgespielt wurden.

Eine der letzten veröffentlichten Versionen dürfte das Model 4.5 sein, das am 12. Mai 1990 im Vereinigten Königreich das Model 4 ablöste, nun mit hohen SCSI-Übertragungsraten, HeliOS Dateisystem, Assembler, Ansi C Compiler, einem Source Level Debugger und X-Tools als Standardausrüstung. Für das Jahr 1990 wurden darüber hinaus noch angekündigt: Ethernet via TCP/IP, NFS (Netzwerk-Dateisystem), X Window System Release 11.4.


Bilder

Atari Transputer Workstation 800
Einzelne Bilder zum Vergrößern anklicken
Bildquelle
Farmcard: Wikipedia


Technische Daten

Modellinformationen
Modell ATW800
Hersteller Perihelion
Perihelion Hardware Limited
Vereinigtes Königreich England

Atari
Atari Computer GmbH Technologiezentrum
Julius-Konegen-Str. 24
3300 Braunschweig
Deutschland Westdeutschland
Ankündigung 12. September 1987, Salone Macchine e Attrezzature l'Ufficio, Mailand
Vorstellung 2. November 1987, COMDEX Las Vegas (als ABAQ)
14. November 1988, COMDEX, Las Vegas (als Atari Transputer Workstation)
Im Handel 1989
Einstellung der Produktion 1990
Technik
Prozessor Inmos T800, bis zu 17 Stück
Rechengeschwindigkeit 1,5 MFLOPS bei 20 MHz, pro Prozessor
Arbeitsspeicher minimum 1 MB
Betriebssystem ab Werk Perihelion HeliOS
Statistisches
Produktion alle Modellversionen zusammen etwa 250 bis 350 Stück

Letzte Bearbeitung: 26. Oktober 2023